Es war einmal in einem fernen Land, dem Land des Sony und Nintendo, ein Wissenschaftler namens Akio Mori. Er sah etwas im EEG von jugendlichen Gamern und meinte daraufhin, dass sie eine geringere Aktivität im präfrontalen Bereich des Gehirns aufwiesen, der für Emotionen und Kreativität zuständig ist. Also schrieb er ein Buch, einen Bestseller namensゲーム脳の恐怖, was so viel wie „die Angst vor dem Game Brain“ heißt. All dies findet der Leser in der Wikipedia unter „Game Brain“.
Später interpretierte ein Neurowissenschaftler die EEG-Befunde als eher durch Müdigkeit als durch Computerspiel verursacht. Die Idee von einem permanenten Hirnschaden durch Computerspiel war aber in der Welt und blieb da.
Es müssen immer neue dramatische Geschichten erzählt werden, denn die Menschen wollten unterhalten werden. Im Dezember 2024 wurde „brain rot“ zum „Oxford Word of the Year 2024“ gewählt. „brain rot“ wird definiert als “die vermeintliche Verschlechterung des geistigen oder intellektuellen Zustands einer Person, insbesondere als Ergebnis eines übermäßigen Konsums von Material (jetzt insbesondere von Online-Inhalten), das als trivial oder wenig herausfordernd angesehen wird (vgl. https://corp.oup.com/news/brain-rot-named-oxford-word-of-the-year-2024/) .
Im Januar 2025 warnte gar Papst Franziskus vor der stetigen Ausbreitung der Hirnfäule durch soziale Medien (https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/papst-franziskus-warnt-vor-hirnfaeule-bei-nutzung-von-social-media-a-565aaed6-13ec-4eac-92d0-e2dd2cb3f0d9).
Yousef et al. legten im März 2025 ein „rapid review“ der wissenschaftlichen Publikationen der Jahre 2023 und 2024 vor. Bemerkenswerterweise wurde der Suchbegriff „brain rot“ in Studien nicht gefunden. Die Autoren erklären sich das damit, dass der Begriff aus akademischer Sicht neu sei. Andererseits: Wie neu kann ein Begriff sein, der bereits zum Wort des Jahres gewählt wurde?
Stattdessen diskutierten Yousef et al. die Auswirkungen von exzessiver Bildschirmmediennutzung auf die kognitiven Funktionen. Beeinträchtigungen der Gedächtnisleistung, der Aufmerksamkeitsspanne und der Problemlösungsfähigkeiten mögen beunruhigen, sind allerdings bislang nicht längsschnittlich untersucht. Möglicherweise sind diese Personen nicht durch „dumme Medieninhalte“ beeinträchtigt, sondern sie nutzen diese Inhalte vermehrt, weil sie sich genau dafür und nicht für Heidegger oder Kant interessieren?
Den Autoren des Reviews ist vorzuwerfen, dass sie das brain-rot-Phänomen unkritisch als existent hinnehmen und lediglich vermeintliche Belege dafür subsummieren.
Hier soll nicht bestritten werden, dass Menschen von sozialen Medien süchtig werden können und dass gerade Kinder und Jugendliche ungenügend vor den negativen Auswirkungen sozialer Medien geschützt werden können. Mit dem Begriff „brain rot“ soll jedoch Eltern und Betroffenen Angst gemacht werden, so dass sie die Mediennutzung einschränken. Es gibt gute Gründe dafür, Medien kontrolliert und eingeschränkt zu nutzen. Die Angst, dass durch die Nutzung das Gehirn verfaulen könnte, ist keine, denn das wird nicht passieren.
Die Nutzung des Bildes eines verfaulenden Gehirnes auf die soziale-Medien-Problematik ist überhaupt nicht originell. Vor 20 Jahren wurde behauptet, schlechte Fernsehprogramme hätten derartige Auswirkungen (vgl. „Does Television Rot Your Brain?“, „https://www.nber.org/papers/w12021).
Wäre das aber tatsächlich so, wie würde es dem deutschen Fernsehzuschauer heute gehen?
Bild: https://www.canva.com
Quelle: Yousef A.M.F., Alshamy A., Tlili A., Metwally A.H.S. Demystifying the New Dilemma of Brain Rot in the Digital Era: A Review. Brain Sci. 2025, 15(3), 283; https://doi.org/10.3390/brainsci15030283