Sollte Heroin für Jugendliche verboten werden?

In den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien wird zur Zeit über Altersbeschränkungen für die  Nutzung Sozialer Medien diskutiert (vgl. https://www.tagesschau.de/inland/debatte-social-media-verbot-jugendliche-100.html, 29.9.2025). Darin wird dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Spahn zugeschrieben:

Apps wie Instagram und TikTok sprächen demnach das Belohnungssystem im Hirn in etwa so an wie Heroin. „Wer schon mal versucht hat, einem Zwölfjährigen das Smartphone wegzunehmen, während der bei TikTok unterwegs ist, weiß um die Entzugserscheinungen. “Verbote seien ein scharfes Schwert. „Aber wir verbieten Jugendlichen auch Alkohol und Nikotin, um das noch wachsende Gehirn zu schützen. Und wenn TikTok wie eine noch härtere Droge wirkt, müssen wir was tun“, sagte der Unionsfraktionschef.““

Der erste Gedanke, der mir dazu kam, war: Wie würde ich mich fühlen, wenn man mir blitzartig das Smartphone wegnehmen würde und meine wütende Reaktion als „Entzugserscheinungen“ interpretieren würde? Ob er das mal während einer Fraktionssitzung ausprobiert hat? Für einen Zwölfjährigen ist das Smartphone auch ein Machtinstrument, mit dem er symbolisch in der Welt der Erwachsenen mitspielt. Wird ihm das Smartphone gewaltsam entzogen, spürt der Jugendliche wohl weniger Entzugserscheinungen als den dahinterstehenden Mangel an Respekt. Viele Jugendliche reagieren empfindlich auf den Ausdruck eines Mangels an Respekt, vielleicht sogar empfindlicher als Erwachsene.

Ist es aber so, dass Apps wie Instagram und TikTok das Belohnungssystem im Hirn in etwa so ansprechen wie Heroin?

TikTok wie Heroin aktivieren das Belohnungssystem.  Das „Belohnungssystem“ im Gehirn bezieht sich im Wesentlichen auf neuronale Netzwerke, die auf Belohnungsreize (z. B. positive Rückmeldung, Genuss, Erfolg) reagieren, vermittelt über Neurotransmitter (Botenstoffe im Gehirn) wie Dopamin. Wenn ich das Belohnungssystem in die Debatte einbringe, wird es schnell kompliziert. Ich muss dann Neurowissenschaftlern durch Fachbegriffe, Theorien und Methoden folgen und die Leserin/ der Leser bleibt schnell ratlos zurück. Auf eine verständliche Ebene zurückgeholt, meint „das Belohnungssystem aktivieren“ letztlich in etwa, dass etwas (z.B. etwas zu tun) uns Spaß macht, für uns angenehm, wichtig oder nützlich ist. Wer mit dem Finger auf etwas zeigt und kritisch anmerkt, dass das Belohnungssystem hier aktiviert würde, wenn man dies oder jenes täte, der will möglicherweise nur den Spaß verbieten.

Wenn Heroin oder andere psychotropen Substanzen in den Blutkreislauf gelangen, täuschen sie dem Gehirn „Spaß“ vor. Dieser „Fake-Spaß“ hält für die Dauer der pharmakologischen Wirkung an und verschwindet dann. Wer jetzt fragt, was denn an etwas „Fake-Spaß“ so problematisch sei, dass man das verbieten müsste, der kennt die Nebenwirkungen nicht und, was pharmakologisches Spaß-Auslösen im Gehirn anrichtet. Das jedoch ist ein anderes Thema.

Der Vergleich von TikTok mit Heroin ist rhetorisch eindrucksvoll, aber wissenschaftlich überzogen.

Während derartige Vergleiche verzichtbar sind, ist eine gesellschaftliche sachliche Diskussion über soziale Medien im Kindes- und/oder Jugendalter notwendig. Für diese Diskussion gibt es zahlreiche Argumente, hier eine persönliche Top 10 der wichtigsten, positiven wie negativen:

Top 10 Vorteile von Social Media für Jugendliche

  1. Soziale Vernetzung – Freundschaften pflegen, neue Kontakte weltweit knüpfen.
  2. Informationszugang – Schnelle Verfügbarkeit von Nachrichten, Wissen, Trends.
  3. Selbstausdruck & Kreativität – Eigene Inhalte erstellen und teilen (Fotos, Videos, Kunst, Texte).
  4. Gemeinschaft & Unterstützung – Austausch in Interessengruppen, bei Problemen oder Hobbys.
  5. Digitale Kompetenzen – Frühzeitiges Erlernen von Medien- und Technikwissen.
  6. Lernressourcen – Tutorials, Erklärvideos, Online-Kurse zur Unterstützung beim Lernen.
  7. Aktivismus & Teilhabe – Jugendliche können sich an gesellschaftlichen Diskussionen und Bewegungen beteiligen.
  8. Unterhaltung & Inspiration – Zugang zu Musik, Memes, Spielen und kreativen Ideen.
  9. Selbstbewusstsein & Anerkennung – Positive Rückmeldungen („Likes“, Kommentare) können das Selbstwertgefühl stärken.
  10. Karriere & Chancen – Erste Kontakte für Praktika, Bewerbungen, Networking oder sogar Influencer-Karrieren.

Top 10 Nachteile von Social Media für Jugendliche

  1. Suchtgefahr & Zeitverlust – Gefahr, zu viel Zeit online zu verbringen.
  2. Psychischer Druck & Vergleiche – Ideale Körperbilder und „Likes“ können Stress und Unzufriedenheit verursachen.
  3. Cybermobbing – Beleidigungen, Ausgrenzung oder Belästigung online.
  4. Falsche Informationen & Fake News – Jugendliche sind anfällig für Desinformation.
  5. Datenschutz & Privatsphäre – Persönliche Daten können missbraucht werden.
  6. Schlafprobleme – Exzessive Nutzung, besonders vor dem Schlafengehen, stört den Schlafrhythmus.
  7. Konzentrationsprobleme – Dauerhafte Ablenkung durch Benachrichtigungen, Multitasking.
  8. Gefährliche Inhalte & Trends – Riskante Challenges oder Kontakt zu schädlichen Gruppen.
  9. Kommerzialisierung & Werbung – Jugendliche werden gezielt mit Werbung und Konsumreizen angesprochen.
  10. Eingeschränkte soziale Fähigkeiten offline – Zu starke Online-Orientierung kann echte zwischenmenschliche Erfahrungen beeinträchtigen.

Wenn Sie jetzt Eltern von Jugendlichen sind, sind Sie möglicherweise unzufrieden. Die Entscheidung fehlt, es wirkt wie ein zehn zu zehn unentschieden. Vorschlag: Sehen Sie es wie einen Einkauf und sehen Sie die Nachteile wie den Preis, den Sie und Ihr jugendliches Kind zahlen müssen. Nur wenn ihr Kind stark genug ist, um mit den Nachteilen zurecht zu kommen und Sie bereit sind, im Blick zu behalten, auszugleichen, zu unterstützen und zu helfen, kann Ihr Kind von den Vorteilen profitieren und bleibt doch in relativer Sicherheit. So sicher, wie das heutzutage halt möglich ist.

Quellen:

Kazmi SM, Jilani AQ, Ahmad S, Srivastava P, Pandey K, Anwar S. Effects of Excessive Social Media Use on Neurotransmitter Levels and Mental Health: A Neurobiological Meta-Analysis. Era J Med Res 2025;12(1):56–60.

Bildquelle: stabledifusionweb.com with support by ChatGPT (https://chatgpt.com/g/g-RfZM7NUri-bilder-erstellen?locale=de-DE)